Die Müngstener Brücke zwischen Solingen und Remscheid ist die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. 107 Meter hoch und 465 Meter lang überspannt sie das Tal der Wupper dort, wo es am schönsten ist. Sie ist ein Meisterwerk aus Stahl, Denkmal von nationaler Bedeutung, beliebtes Ausflugsziel, seit 125 Jahren unverzichtbare Schienenverbindung im Bergischen Städtedreieck - und jetzt auf dem Weg, UNESCO-Welterbe zu werden.
Welterbe-Bewerbung in internationaler Gemeinschaft
Die Bewerbung läuft in internationaler Gemeinschaft mit fünf weiteren bauähnlichen Großbogenbrücken in Portugal, Frankreich und Italien. Erbaut im späten 19. Jahrhundert zeugen sie von Pioniergeist und großartiger Ingenieurbaukunst. Als Welterbe sollen die letzten Großbogenbrücken aus dieser Zeit für die Zukunft bewahrt werden.
Die Müngstener Brücke in Deutschland, die Ponte Maria Pia und die Ponte Dom Luís I. in Portugal, der Garabit- und der Viaur-Viadukt in Frankreich und die Ponte San Michele in Italien: Seit mehr als einem Jahrhundert schaffen sie Verbindung zwischen den Städten und Regionen in ihren Ländern, als imposante Riesenbrücken überspannen sie tiefe Täler. Sie sind bemerkenswerte Zeugnisse der Industrialisierung in Europa und haben sich bis heute nicht verändert, auch ihre Funktion behalten.
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Errichtet wurden sie in einer Zeit, als es in Europa brodelte. Doch auch wenn die „große" Politik die Nationen deutlich voneinander trennte, war der Wettstreit zwischen den Brückenbauern sehr konstruktiv. Die Ingenieure und Baufirmen wetteiferten darum, sich mit immer größeren und gewagteren Konstruktionen gegenseitig zu übertreffen. Welche Brücke spannt den weitesten Bogen? Wie kann möglichst wirtschaftlich gebaut werden? Neue Materialien und neues Wissen ermöglichte bis dahin unerreichte Spannweiten, die die Schwerkraft zu überwinden schienen.
Und wie wurde man immer besser? Die Konstrukteure standen über die Grenzen hinweg miteinander in Kontakt. Man tauschte Wissen aus, hat voneinander gelernt. Und in diesem Austausch entwickelte sich die Kunst des Brückenbaus zur Perfektion.
Zurück zur Müngstener Brücke: Innovativ war hier nicht nur das Material - Flussstahl statt Schmiedeeisen. Die Bogenkonstruktion war kompliziert, verlangte besonderes Wissen und einen extrem hohen Rechenaufwand - ohne Computer, mit Hand und Rechenstab. Die besondere Herausforderung: Der freie Vorbau. Die beiden Seiten wuchsen aufeinander zu - ganz ohne Gerüst. Unter den Blicken vieler Schaulustiger arbeiteten die Monteure in schwindelnder Höhe, bis im März 1897 nach nur dreijähriger Bauzeit die letzte von 950.000 Nieten eingeschlagen und der Bogen geschlossen wurde. Pünktlich zum 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I., dessen Namen die Brücke viele Jahre trug.
Brückenschlag in Europa
So, wie die Brücken in ihren Ländern seit mehr als 100 Jahren Verbindung schaffen, so verbindet die gemeinsame Bewerbung heute die Partner in Europa. Die Initialzündung kam von den Oberbürgermeistern der drei bergischen Großstädte Remscheid, Solingen und Wuppertal. Der Startschuss fiel zum 120. Geburtstag der Müngstener Brücke. Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach betont: „Die Brücke ist unser Wahrzeichen, ein Meisterwerk der Baukunst und der Qualität. Seit 125 Jahren verbindet sie unsere Städte, Tag für Tag wird sie von Pendlerinnen und Pendler genutzt. Im Bewerbungsprozess schafft sie neue Verbindungen. Auf der operativen Ebene haben wir als Partner zueinander gefunden, neue Freundschaften in Portugal, Italien und Frankreich geknüpft. Wir schlagen Brücken in Europa." Gesteuert wird der internationale Bewerbungsprozess aus Solingen.
Der erste Meilenstein führt nun zur so genannten Tentativliste (Vorschlagsliste) zur Nominierung als UNESCO-Welterbe in Deutschland. Jedes Bundesland war 2020 aufgerufen, zwei Vorschläge einzureichen. Nordrhein-Westfalen entschied sich für die Müngstener Brücke mit ihren europäischen Partnern und hat die serielle, transnationale Bewerbung „Europäische Bogenbrücken des 19. Jahrhunderts" zur Fortschreibung der bundesdeutschen Vorschlagsliste zukünftiger Welterbestätten an den Bund gemeldet - als einzigen Vorschlag aus NRW. 2023 beschließt die Kultusministerkonferenz der Länder die deutsche Tentativliste und reicht sie 2024 bei der UNESCO in Paris ein.
Brückensteig - Erlebnis in schwindelerregender Höhe
Jetzt feiert die Müngstener Brücke aber erst einmal Geburtstag, 125 Jahre ist sie nun alt. Vorab hat die Deutsche Bahn sie auf Vordermann gebracht und für viele zukünftige Jahrzehnte fit gemacht. „Die Brücke ist das Rückgrat der Bergischen Wirtschaft und damit für Pendlerinnen und Pendler sowie unsere Industrie unverzichtbar“, so Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz.
Acht Jahre lang, in rund 400.000 Arbeitsstunden und mit einem Investitionsvolumen von rund 30 Millionen Euro wurde sie denkmalgerecht saniert, weitere Gelder kamen unter anderem für technische Zusatzausstattungen und Wartungseinrichtungen hinzu. „Wir sind stolz auf das Bauwerk, es ist unser Aushängeschild", betont Werner Lübberink, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn AG in NRW. Die DB ist Partner im Bewerbungsprozess. Seit dem Abschluss der Sanierung ist der Weg frei für ein ganz neues Brücken-Erlebnis - wenn man mutig und schwindelfrei ist. Auf dem „Brückensteig" führen 777 Stufen über einen Wartungsweg hinauf, am gigantischen Brückenbogen entlang. Das Ziel: Eine Plattform auf hundert Metern Höhe, knapp unter dem höchsten Punkt der gigantischen Brücke. Man geht in einer Gruppe, mit Helm und Klettergurt, geführt von einem Guide. Ein eindrucksvolles Erlebnis ( www.brueckensteig.de)! Zum Geburtstag gibt es am 27. und 28. Geburtstag ein großes Fest im Brückenpark Müngsten zu Füßen des Stahl-Giganten, mit einem Konzert der Bergischen Symphoniker am Samstag, einem Familientag am Sonntag, stimmungsvoller Beleuchtung an beiden Abenden, und auch den Brückensteig kann man erklimmen. Und wer's nostalgisch mag: An beiden Tagen fährt ein historischer Dampfzug die „Bergische Runde", selbstverständlich über die Riesenbrücke! Fahrkarten gibt's im Zug. Das Fest wird organisiert vom Förderverein „Welterbe Müngstener Brücke".
Das komplette Programm gibt es hier.
Hintergrund - Kurzsteckbriefe der Brücken
MÜNGSTENER BRÜCKE - DEUTSCHLAND
Solingen - Remscheid - Wuppertal / Germany - Anton von Rieppel - 1893-1897
Die Müngstener Brücke überspannt die Wupper zwischen den Städten Remscheid und Solingen mit einer Höhe von 107 m, 170 m Spannweite und einer Länge von 465 m. Die zweigleisige Brücke ist die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands und markiert einen Meilenstein modernsten Ingenieurswissens der Periode der Zweiten Industriellen Revolution im ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland.
VIADUC DE GARABIT - FRANKREICH
Ruynes-en-Margeride / France - Gustave Eiffel / Maurice Koechlin - 1880-1884
Der Viaduc de Garabit überspannt den Fluss Truyère bei Ruynes-en-Margeride in Frankreich mit einer Höhe von 122 m, einer Spannweite von 165 m und einer Länge von 565 m. Das schmiedeeiserne Viadukt ist eines der wichtigsten Werke Gustave Eiffels. Sie war außerdem zum Zeitpunkt ihrer Errichtung die höchste Brücke der Welt.
VIADUC DU VIAUR - FRANKREICH
Tauriac-de-Naucelle - Tanus / France - Paul-Joseph Bodin - 1895-1902
Der Viaduc du Viaur überspannt als eingleisige stählerne Eisenbahnbrücke das Tal des Viaur und ist bis heute die größte Stahlbrücke Frankreichs. Der Viaur-Viadukt befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinden Tauriac- de-Naucelle sowie Tanus und verbindet die Departements Aveyron und Tarn. Bodin konzipierte sie als kombinierte Bogen- und Auslegerbrücke mit einer Spannweite von 220 m, deren zwei Kragträger sich in der Mitte über ein Drehgelenk gegenseitig abstützen.
PONTE MARIA PIA - PORTUGAL
Porto - Vila Nova de Gaia / Portugal - G. Eiffel / T. Seyrig - 1875-1877
Die Ponte Maria Pia überquert den Fluss Douro zwischen Porto und Vila Nova de Gaia. Sie ist 61 m hoch, hat eine Spannweite von 160 m und eine Länge von 563 m. Die Ponte Maria Pia nimmt eine wichtige Rolle in der Geschichte der Konstruktion von Eisenbahnbrücken ein, denn bei der Bogenkonstruktion kamen die neuesten Konstruktionstechniken zum Einsatz.
PONTE DOM LUÍS I. - PORTUGAL
Porto - Vila Nova de Gaia / Portugal - Theophile Seyrig - 1886
Die Ponte Dom LuÍs I. überquert den Fluss Douro und verbindet die beiden Städte Porto und Vila Nova de Gaia. Die eiserne Bogenbrücke für leichte Schienen- und Straßenfahrzeuge übertraf mit 172 m die Spannweite der stromaufwärts liegenden Maria Pia Brücke. Die abgehängte Straßenfahrbahn auf Höhe der Widerlager ist eine Besonderheit dieser Brücke.
PONTE SAN MICHELE - ITALIEN
Paderno d´Adda - Calusco d´Adda / Italy - Jules Röthlisberger - 1887-1889
Ponte San Michele überquert den Fluss Adda bei Mailand zwischen den Orten Paderno d'Adda und Calusco d'Adda. Die Brücke zeigt als Besonderheit eine Eisenbahnlinie im Träger und eine obenliegende Straße in 85 m Höhe, ihre Spannweite ist 150 m. Die Brücke ist ein wichtiges Beispiel für den Wissenstransfer in Europa durch den Schweizer Ingenieur Röthlisberger und die Industrialisierung Italiens im ausgehenden 19. Jahrhundert.